Gerd Neuwirth - seit über 4 Jahren Pressesprecher der Neuwieder Stadtwerke -  ist NUN seit der Gründung verbunden und fand sich zu einem Interview zur aktuellen Gas-Versorgungssituation bereit.
(Das Interview gibt den Stand der Dinge am 21.07.2022 wieder. Die Situation bzgl. der Gasversorgung kann sich natürlich kurzfristig ändern.)

Gerd Neuwirth Pressesprecher der SWN

NUN: Zunächst vielen Dank, dass du in der momentanen Situation Zeit findest, NUN ein Interview zu geben.
Die Gas-Versorgungsprobleme hängen primär mit der Drosselung der russischen Gaslieferungen aufgrund des Ukraine-Kriegs zusammen. Wie hoch ist aktuell der Anteil russischen Gases am gesamten deutschen Gasbedarf?

GN: Das Bundeswirtschaftsministerium spricht von aktuell 35 Prozent. Zur Einordnung: Wir verbrauchen in Deutschland etwa 1000 Terawattstunden Gas: Etwa die Hälfte in Industrie, Handel und Gewerbe, ein Drittel in den Haushalten.

 

NUN: Wieviel dieses Anteils lässt sich bis zum Winter voraussichtlich durch andere Quellen ersetzen?

GN: Ich würde die Frage anders stellen: Wir groß ist der Anteil, auf den wir verzichten können?
Erstens: Bei einem ordentlichen Teil haben wir es selbst in der Hand. Jeder kann zuhause kürzer duschen. Pro Nase macht das schnell 1000 kWh im Jahr aus. Das läppert sich bei etlichen Millionen Haushalten, die das Wasser mit Gas erhitzen. Fürs Winterhalbjahr heißt es: Heizung vorher warten, Temperaturen runter. Da hängt viel vom Sparwillen aller ab. Was viele außer Acht lassen: Wir brauchen viel Gas - 12,5% des Gesamtbedarfs - um Strom zu erzeugen. Ein Teil davon lässt sich durch Kohle und Öl ersetzen.
Zweitens: Auch die Industrie spart schon und hier will der Bund mit ihr ein Auktionsmodell einrichten. Vereinfacht gesagt: Industrielle Abnehmer sollen ihren Verbrauch gegen ein Entgelt verringern. Wie hoch dieses Entgelt ausfällt, regelt dabei die Auktion. Das dadurch gesparte Gas könnte eingespeichert werden. Auch eine Reserve.
Drittens, und das ist echter und mittelfristig dauerhafter Ersatz: Die schwimmenden LNG-Terminals. Die Schwimmterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel sind im Bau und könnten ab Ende des Jahres immerhin 10 bis 12 % des deutschen Bedarfs umschlagen. Auch Lubmin könnte um den Jahreswechsel an den Start gehen.
Also: Viele Variablen und die Unsicherheit, ob dauerhaft und wieviel über Nord Stream 1 kommt.
Nicht zuletzt: Kommt ein früher, ein später, ein strenger oder milder Winter?



NUN: Was bedeutet konkret die jetzt in Gang gesetzte zweite Alarmstufe des „Notfallplan Gas" für die Verbraucher?

GN: Erstmal: nichts. Die Alarmstufe sagt laut Notfallplan Gas, dass „eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vorliegt, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen.“
Kurz gesagt: Es kommt noch Gas, aber zu wenig, der Staat muss noch nicht eingreifen. Aber er bereitet sich vor. In der letzten, der Notfallstufe, würde ein Krisenteam unter der Leitung der Bundesnetzagentur entscheiden. Dafür mussten auch wir Hausaufgaben machen. Dazu gehört z. B. eine Liste von Industrieunternehmen, die nach einem umfangreichen Kriterienkatalog erstellt wird – und ggf. abgeschaltet werden kann.

 

NUN: Wie muss man sich die lokale Versorgung beispielsweise in unserer Region vorstellen?

GN: Das Gasnetz ist ein europäisches Transportsystem, eng verzweigt und in den letzten Jahren ausgebaut. Ähnlich wie die Autobahnen. Aufgrund der Struktur müsste sich aber Bayern mehr Sorgen machen als wir, weil der Speicher Haidach noch fast leer ist. Aber die Bundesnetzagentur sagt, dass geographische Kriterien keine Rolle spielen. Man muss sich aber auch klarmachen, dass die Speicher nur etwa ein Viertel des Jahresbedarfs abdecken – bei kompletter Befüllung, wohlgemerkt.

 

NUN: Im schlimmsten Fall ist für den Winter offenbar denkbar, dass eine Art „Triage“ bei der Gasversorgung erfolgt.
Energieintensive große Industrieunternehmen würden dann wohl Einschränkungen hinnehmen müssen, während Haushalte, Krankenhäuser, Altenheime etc. bei der Versorgung privilegiert würden.
Auf was müssen sich aber kleinere und mittelständische Unternehmen (Einzelhandel, Dienstleister etc.) einstellen? Ist es denkbar, dass unsere NUNler ihr Büro, ihr Ladenlokal etc. nicht mehr beheizen können?

GN: Die Privilegierung ist im Notfallplan Gas festgeschrieben. Das ist eine europäische Verordnung, die nicht beliebig zu ändern ist. Also: Haushalte, strukturrelevante Betriebe und soziale Einrichtungen werden versorgt. Da hat Habecks Äußerung zur Priorisierung sicher mehr als nötig für Unruhe gesorgt. Die Frage wird sein: Wie viel müssen wir einsparen und wo? Energieintensive Industriebetriebe, große Gewerbe- und Handelsbetriebe werden wahrscheinlich die ersten sein. Wie kleinteilig es dann weitergeht, kann nur die Lage und die dann entscheidende Bundesnetzagentur sagen. Das Gasnetz braucht Druck, man kann nicht hingehen und sagen: Von 6 bis 8 und von 18 bis 20 Uhr fließt es.

 

NUN: Dass sich die Gaspreise durch die aktuelle Situation zukünftig deutlich erhöhen werden, dürfte jedem klar sein.
Ab wann und in welchem Umfang ist mit einer Weitergabe dieser Preise an die Endkunden zu rechnen?grafik

GN: Wir als SWN haben zuletzt zum Jahresbeginn 2022 etwas erhöht, wahrscheinlich reicht das für dieses Jahr. 2023 wird es aber auf jeden Fall teurer. Und ich sage: drastisch. Versorger, die seriös agieren, haben zum Glück einen Teil schon eingekauft. Aber die Gaspreise sind in den letzten Monaten an den Börsen von einem Höchststand zum anderen geeilt: Eine Megawattstunde kostete zuletzt 150 Euro, Anfang 2021 waren es 15. Das schlägt durch. Manche haben schon in diesem Jahr angezogen, manche gar mehrfach. Wir hören bei Wettbewerbern schon von Preisen um die 16 Cent je kWh, einige packen – und jetzt hätte ich fast verstecken gesagt - einen Teil auch in höhere Grundpreise. Und das schon ab dem 1.9. Ob es bei uns für 2023 Richtung 15 Cent geht, weiß ich nicht, die Kollegen rechnen noch. Das wäre sehr bitter für die Kunden. Die wichtigste Botschaft: Legt Geld zurück, spart Energie, wo es geht, bis sich die Lage entspannt.

 

NUN: Man hört derzeit, dass eine erhöhte Nachfrage nach Heizlüftern und sonstigen elektrischen Heizmöglichkeiten gegeben ist. Die Menschen stellen sich also auf die Möglichkeit ein, dass Gasheizungen nicht mehr uneingeschränkt betrieben werden können.
Ist es denkbar, dass sich das Problem dann auf die Stromversorgung verlagert und dort ebenfalls mit Engpässen gerechnet werden muss?

GN: Um unser Netz müsst Ihr Euch keine Gedanken machen, eher um Eure Hausinstallation und die exorbitanten Kosten. In vielen Häusern ist nicht jeder Raum mit separater Sicherung abgedeckt. Ein Lüfter hat in der Regel 2000 Watt Leistung. Da sind schon knapp 9 Ampere Stromstärke. Bei 10- oder 16-Ampere-Sicherungen fehlt dann nicht mehr viel, bis die Sicherung rausfliegt. Zu den Kosten: Bei fünf Stunden Betrieb verursacht ein Lüfter 90 Euro Kosten im Monat. Für eine 60qm-Wohnung braucht man drei von den Teilen. Sind 270 Euro. Bei längerer Laufzeit entsprechend mehr. Da wird Dir am Ende des Jahres bei der Abrechnung ganz von alleine heiß! Und nochmal: Wenn wir Strom sparen, sparen wir uns Verbrauch durch Gaskraftwerke. Wir sollten mit Vernunft durch die Gaskrise gehen. Heizlüfter gehören nicht dazu.

 

NUN: Wir bedanken uns für das Interview.

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